Staat handelt nicht |
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10.07.01, 14:00
Liberales Staatsverständnis Ein Kommentator meinte nach dem Parteitag der FDP am Abend des 9. Juni 1996 „Freiburg“ sei tot. Genau das ist nicht der Fall, denn Freiburg hat den Liberalismus geprägt. In gleicher Weise greift Liberalismus auf seine Wurzeln in der europäischen Geistesgeschichte zurück. Anders könnte Liberalismus heute nicht begriffen und vermittelt werden. Liberale haben den autoritären Staat des 18. Jahrhunderts überwunden. Liberale gehen nun daran, auch den des 20. Jahrhunderts einzumotten. Dies ist dringend nötig, denn die Debatten seit Anfang 1996 scheinen einen Mainstream der öffentlichen Meinung anzuzeigen, der sogar weiteres Wachstum des Staates, Bevormundung erteilend und Freiheit raubend, verlangt. Der „Rückzug des Staates“ ist ein komplexes politisches Projekt. Die herrschende Staatsrechtslehre ist omnipräsent, liefert die Rechtfertigung für „politische“ Unbeweglichkeit und nährt die Hoffnung auf bequem-sorgenfreies Leben zu vieler Zeitgenossen. Bezogen auf die Notwendigkeiten der Zukunft hat sich bereits seit 1985 ein Wandel im Liberalen Programm vollzogen, der mit Verabschiedung des Wiesbadener Programms 1997 als liberaler Urknall Geschichte wurde. Entstanden ist zunächst eine programmatische Ursuppe. Diese Ursuppe ist der Protoliberalismus für das 21. Jahrhundert. Politische Programme kritisch auf geschichtliche Erfahrung zu gründen ist stets vernünftig. Zum Thema „Staat“ steht im Wiesbadener Programm beispielsweise noch:
Halt: Wer ist der Souverän? Es gibt zwischen Gesellschaft und Staat nichts zu „vermitteln“. Die Bürger bestimmen in der repräsentativen Demokratie über ihre Abgeordneten in den Parlamenten die Aufgaben von Justiz, Verwaltung und Regierung. Punkt. Konservative werden sich beruhigt zurücklehnen, wenn sie die in der Aufzählung wiedergegebenen Sätze lesen. Aber für Liberale sind die Maßstäbe anders. Es ist politische Pflicht, Worte nicht zu verdrängen, sondern mit Sensibilität von Sprache auf Denken und damit auf voraussichtliches Handeln zu schließen. Die Lippen haben in Karlsruhe und Wiesbaden beherzt das Entstaatlichung, gefordert. Der Gedanke, die Lippen hätten das Zurückdrängen des Staates aus dem sicheren Hort bewährter Staatsgläubigkeit so pointiert fordern können, erzeugt geistige Gänsehaut und helle liberale Aufregung. „Was willst Du mit dem Dolche ? Sprich ...“ Zur Klarheit: Ein Staat besteht, wenn für bewohntes Gebiet die äußere Vertretung und die innere Schlichtung von legitimierter, zur Gewalt verpflichteten und fähigen „Verwaltung“ wahrgenommen wird. Die konstituierenden Elemente des Staates sind: Bürger, Gebiet, Institutionen, Gewaltmonopol. Die Institutionen gliedern sich in eine Vielzahl spezialisierter Unter-Institutionen. So wird beispielsweise unterschieden: Parlamente, Gerichte und Regierungen. Die kritische Frage an den rationalen Verstand lautet nun: Kann der so definierte Staat handeln? Sind die zahllosen Aussagen (Sätze) logisch richtig wenn in ihnen der Begriff „Staat“ mit Aktionsverben (gewähren, entscheiden, sorgen, lösen, befriedigen, genehmigen) verknüpft wird? Historisch war es sicherlich sinnvoll den absoluten Fürsten die Abgabe von „Macht“ durch die in Worte gekleidete Suggestion zu erleichtern, letztlich würden ihre Vorrechte in der künftigen Republik nicht entscheidend geschmälert. Aber die Aufgabe dieser Tradition ist, nachdem die Entwicklung weiter gegangen ist, nun zwingend geboten. Die weiter oben zitierten Aussagen sind formal eine ungeeignete politische Sprache, weil der Aussagende entweder:
Formale Probleme gehen nahtlos in inhaltlich von Liberalen stets bekämpfte, heute unhaltbare Positionen, über.
Statt dessen benötigen wir Vorrang für den Gedanken, dass die Bürger untereinander einen Gesellschaftsvertrag über die Regeln ihres Zusammenlebens geschlossen haben. Die FDP-Parteitage von Karlsruhe/Wiesbaden (1996/97) erzeugten einen liberalen Urknall, weil individuelle Freiheit und individuelle Verantwortung überzeugend zum neuen Gesellschaftsvertrag mit „weniger Staat“ kondensierten. Wenn Liberale einen anderen, Gesellschaftsvertrag entwickeln, dann muss das Staatsverständnis genetisch und schlüssig dem folgen und glaubhaft, unmissverständlich ent- sprechend ausgeführt werden werden. Es ergeben statt der Zitate folgende liberale Prinzipien:
Nachsatz Nr. 1: Die gesellschaftliche Entwicklung wird kurzfristig von der Anwendung des Gesellschaftsvertrag-Gedankens sanft genug beeinflusst. Die Befürworter des Wohlfahrts- und Obrigkeitsstaates verteidigen nämlich die psychologische und agitatorische Plattform für zahllose und beliebig umfangreiche Forderungen zur Beseitigung „unzumutbarer sozialer Härten“ so verbissen, dass Kontinuität und behutsamen Evolution unverzichtbar sind. Wären die Verteidiger des Wohlfahrts- und Obrigkeitsstaates erfolgreich, mündete die gesellschaftliche Entwicklung unvermeidbar in der Krise. Führen die Bürger ihr Zusammenleben dagegen auf der Grundlage eines Gesellschaftsvertrages, ergibt sich schon wegen der eingebauten Selbststeuerung die signifikant bessere Perspektive. Nachsatz Nr. 2: Das Vertrags-Prinzip entfaltet insbesondere angesichts des hypertrophen Wohlfahrtsstaates große gedankliche Kraft in der Gesellschaft. Es aktiviert nicht nur die liberalen Einzelkämpfer, sondern über das Angebot zu mehr Partizipation und Abbau der Untertanenmentalität auch weitere große Teile der Gesellschaft. Das liberale Programm baut damit in der Gesellschaft Einsichten auf, die Reformen möglich machen. Wichtig hierzu sind saubere Gedankenführung und Verankerung in der europäischen Geistesgeschichte. Nachsatz Nr. 3: Das Programm der Liberalen bleibt langfristig profiliert, weil in unserer Demokratie auch künftig Sozialpolitiker wieder und wieder Wohltaten verteilen werden, die die Aufgaben der Verwaltung aufblähen, Freiheit und Verantwortung daher „verstaatlichen“. Mit der Anwendung des gedanklichen Instrumentes des Gesellschaftsvertrages werden liberale Strategie und liberale Sozialtechnik reaktiviert, die künftige Gefälligkeitspolitik präventiv eindämmen. Nachsatz Nr. 4: Nach dem Urknall von Karlsruhe und Wiesbaden ist es erforderlich die programmatische Ursuppe zu strukturieren und philosophisch zu ordnen. Weitergehende Entwicklung ist nötig, denn da liberales Ur-Anliegen endlich im Klartext auf der Tagesordnung steht, ist sicherzustellen, dass der point of no return möglichst bald erreicht wird. Die gereizten Reaktionen der demokratischen Wettbewerber seit 1996 ermutigen. |
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