schlechtes Ende wenn Herrscher versagen |
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07.01.18 / ... / 08.09.03 Chile: Am 11. September 1973 Technisch betrachtet fand am 11. September 1973 in Chile ein Staatsstreich statt. Im ganzen Land gab es, umfassend sorgfältig geplant, ab dem frühem Morgen Schießereien; um 14:00 Uhr war alles entschieden. Schießereien? Zwischen Militär einerseits und Kampfgruppen der Volksfrontparteien, so wie einer Schutztruppe (GAP) des Präsidenten andererseits; außer Streitkräften und Polizei war keine bewaffnete Formation von der Verfassung vorgesehen, also erlaubt ... Der 11. September 1973 wurde ohne Zweifel ein Bruch für eine Gesellschaft, die sich seit 1831 (40 Jahre vor der ersten Reichsverfassung) nach dem Prinzip der Demokratie politisch organisiert hatte. Tragisch, denn es gab Tote, Flüchtlinge, Exilanten-Elend, Zerstörungen. Warum? Das ist die Frage bald 50 Jahre danach. Um auch dies in einleitend abzuarbeiten: Nicht die CIA, nicht die “Yanquis”, nicht die USA haben den Staatsstreich eingestilt oder veranlasst; vermutlich haben die USA das Geschehen mit Wohlwollen verfolgt oder zu Kenntnis genommen; aber alles Andere sind Märchen. Wenn die CIA über die Transporteure den Umsturz mit lediglich 200.000 U$D katalysiert haben sollte, so wäre eine entsprechend ausschlaggebende Wirkung dieser Maßnahme allenfalls ein Zeichen dafür, wie faul das Regime, auf das so viele (auch Europäer) Hoffnungen gesetzt hatten, und “einfach” zu kippen war. Die Regierung Allende war Mitte 1973, nach demokratischen Maßstäben, seit vielen Monaten am Ende ihrer Möglichkeiten. (A) Einige Ereignisse nach der Wahl vom 4. September 1970 Am 5. September 1970, also am Tag nach der Wahl, die der Unidad Popular 36% der Stimmen erbrachte, so wird berichtet, gab es etwa auf der “Carretera Panamericana”, der ausgebauten Nord-Süd-Straßenverbindung, ansonsten lebhaft befahren, kaum Verkehr. Das Land war gelähmt, erstarrt ... Böse Vorahnung zu dem was kommen musste? Ja und Nein. Zum Nein: Angesichts der 36% Stimmen stand der zweite Wahlgang im Parlament an; es hätte auch der zweite Sieger das Rennen machen können; der Partido Demócrata Cristiano entschied sich, solches war Tradition, für den Gewinner der Direktwahl vom 4. September 1970. Und: Kein Zwang bestand dazu, die Gesellschaft binnen weniger Jahre sozialistisch umzugestalten. Aber das Wahlprogramm der Unidad Popular entwickelte sich in den Händen von Eiferern zum Selbstläufer mit unglaublicher Eigendynamik. Der erfahrene Allende konnte oder wollte nicht “bremsen”, obwohl er in vielerlei Beziehung das Zeug zum wirklich großen Präsidenten hatte. Selbstverständlich gab es zu Allende Opposition. Parlamentarisch und außerparlamentarisch. Was eine zünftige Blockadepolitik ist, wissen sogar die Deutschen seit Lafontaine/Schröder (etwa Steuergesetze 1997/98 per Bundesrat) ... Jedenfalls hatte Allende und seine Mannschaft durchaus Schwierigkeiten, bei ihrem Vorhaben eine sozialistische Gesellschaft zu gestalten; die parlamentarische Mehrheit hatte die Unidad Popular im März 1973 nämlich nicht erzielen können. Statt den Rahmen der Verfassung zu respektieren, kam ein Verfassungsbruch nach dem anderen. Und die wirtschaftliche Lage geriet aus den Fugen. Unrast und Aufruhr, in Chile, nahmen nach und nach dramatisch zu. (B) Zum Verhältnis zwischen der Allende-Regierung und dem Militär: Mit einer gewissen Systematik hatte Allende führende Generäle in den Ruhestand befördert. Seine Methode wurde mit dem Begriff “tiraje en la chiminea” (Zug im Schornstein) beschrieben. Mehrfach wurde etwa der drittälteste General zum Oberbefehlshaber ernannt; die Folge: Die beiden Älteren hatten den Dienst zu quittieren. Der Präsident traf eine ihm zustehende, Personalentscheidung und erledigte in seinem Sinne, völlig lautlos, weitere. Wahrscheinlich vermutete Allende dadurch Jüngere, “progressive” Kräfte alsbald in den Führungsetagen der Streitkräfte zu installieren. Ob es soweit gekommen wäre, ist heute nicht entscheidbar. Jedenfalls ist aufgrund von Allendes Personalpolitik Pinochet relativ jung General und wenige Wochen vor dem 11. September 1973 durch Allende ernannt sogar Chef der Streitkräfte geworden ... Unter dem Motto “Nationale Sicherheit” hatte Allende viele Monate vor dem Putsch vom 11. September 1973 hohe Offiziere als Minister in sein Kabinett berufen; das einzige Anzeichen von fehlender Loyalität könnte gewesen sein, dass diese ab und zu ihre Ämter niederlegten, manchmal pensioniert wurden, manchmal in den aktiven Dienst zurückkehrten. (C) Die Erklärung der Abgeordneten-Kammer vom 22. August 1973 An diesem Tag verabschiedete die Abgeordneten-Kammer des Parlamentes mit 81 zu 47 Stimmen eine umfangreiche Erklärung in der festgestellt wird, dass “die Verfassungs- und Rechtsordnung aufs Schwerste zerrüttet ist (“... grave quebrantamiento del orden constitucional y legal ...”); der Partido Demócrata Cristiano hatte seine Einstellung zu Allende revidiert; Abgeordnete des PDC hatten an der Formulierung der Erklärung mitgearbeitet und entsprechend auch abgestimmt. Der Regierung Allende wurde mit schwersten Vorwürfen konfrontiert; sie habe der Erklärung zufolge u.a.:
Die Abgeordneten-Kammer beschloss, wie notiert, “dem Herrn Präsidenten, den Herren Ministern, den Mitgliedern der Streitkräfte und der Polizei” “nach den Bestimmungen von Art. 39 der Staatsverfassung vorzutragen”, dass “die Verfassungs- und Rechtsordnung aufs Schwerste zerrüttet ist” So weit eine Zusammenfassung der wichtigen Punkte der ausführlichen, mit vielen Details versehenen Erklärung der Abgeordneten-Kammer. Beachtlich, das Sündenregister der Regierung Allende. Einige der Anschuldigungen klingen in deutschen Ohren übertrieben, andere wirken in dieser kursorischen Übersetzung eher harmlos. Zu verstehen ist der Gesamtzusammenhang. Ergänzend seien die großen Schlagzeilen der Internationalen Wochenausgabe (8 Seiten à 8 Spalten FAZ-Format, nur 2 Anzeigen insgesamt etwas mehr als 1/4 Seite) des schon immer konservativen EL MERCURIO vom 20.-26. August 1973 notiert: “Die Regierung hat die Verfassung aufs das Schwerste gebrochen”, “General Prats (Verteidigungsminister) zurückgetreten”, “Blutiger marxistischer Schusswechsel “, “Immunität von Altamirano aufgehoben”, “Senatoren zeigen schwere Unregelmäßigen bei der Zentralbank an”, “Admiral Montero hat Amt des Chefs der Seestreitkräfte erneut übernommen”, “Außenministerium kommentiert eine mögliche Invasion aus dem Ausland nicht”, “Allendes Auslandsreise wird sich auf Algerien beschränken”, “Ausländische Banknoten von Beamten der Zentralbank in das Ausland verbracht”, “Industrieproduktion um 7,8% seit Jahresanfang gefallen”, “Terrorismus-Welle verschärft” (30 einzeln beschriebene Vorfälle/Attentate, davon 20 in der Hauptstadt), “Immunität des Gouverneurs von Santiago (berichtet direkt an den Innenminister) aufgehoben”, “Unidad Popular verantwortet chilenische Industrie-Katastrophe”, “Kardinal- Erzbischof hat Ehefrauen der Transporteure empfangen”, “Chile hat im ersten Halbjahr dieses Jahres 8414 PKW hergestellt”, “General Humberto Magliochetti neuer Minister für Infrastruktur”, “Neutrale Staaten analysieren in Santiago ausländische Investitionen in der Rohstoffindustrie”, “Strom-Ausfall bei den Radiostationen erfolgte wegen Reparaturarbeiten”, “Radio der Nationalen Landwirtschaftskammer geschlossen”. (D) Bewertung des Umsturzes vom 11. September 1973 Kann angesichts der o.a. massiven Verstöße gegen die Verfassungsordnung der Staatsstreich vom 11. September 1973 begrüßt oder gutgeheißen werden? Nein. Auch nicht vor dem Hintergrund der Überlegungen etwa zum Tyrannenmord, die in D’land angesichts der NSdAP-Desasters entwickelt wurden? Besser aber wäre ohne Zweifel gewesen, wenn Salvador Allende und seine Mannschaft nicht so krass, auch schamlos Verfassungsbruch begangen hätten. Richtig bleibt: Es gab in der Zeit vor 1970 in Chile langjährig erhebliches Eliteversagen; deswegen wurde Allende doch gewählt. Als Präsident hatte Allende und seine Regierungsmannschaft allerdings die Zuspitzung der Lage bewusst, zumindest zugelassen, folglich zu verantworten. So wie sich Menschen immer wieder “Freiheiten herausnehmen”, haben sich Streitkräfte und Polizei, durch die o.a., in Stichworten wiedergegebene Erklärung, der Abgeordneten-Kammer implizit aufgefordert, die “Freiheit des Staatsstreiches herausgenommen”; sie handelten im Übrigen im Sinne der ganz überwältigenden Mehrheit der Bürger Chiles, die erleichtert waren, dass die Regierung Allende untergegangen war. Als Hintergrund ist nicht aus den Augen zu verlieren, dass Sozialisten aller Art seit vielen Jahrzehnten für Revolutionen, eben gewaltsame Umstürze (im Dienste von sozialer Gerechtigkeit und letztendlich totalitärem Sozialismus), wortwörtlich gepredigt hatten. Auch wenn die Anzahl der Toten als Folge des Staatsstreiches mit “nur” 3200 beziffert wird, während bei erfolgreichen sozialistischen Revolutionen die Anzahl der Toten in die Zehntausende, Hunderttausende, sogar Millionen gegangen war, bleibt der Sturz von Präsident Allende, besonders in dem durch und durch europäisch geprägten Land mit so langer, makelloser demokratischer Tradition ein zumindest tragisches Ereignis. Wie sollte dies angesichts der damals bereits erwiesenen geschichtlichen Erfahrung vermieden werden? Der Umsturz vom 11. September 1973 kann verurteilt werden. Wer dies tut, sollte sicher sein, dass andererseits ein sozialistischer Umsturz, ebenfalls mit vielen Opfern, von Allende und Unidad Popular ganz bestimmt nicht vorgesehen war. Genau dieser Glaube aber war in der Zeit des “Kalten Krieges” als der Zusammenbruch etwa der Sowjetunion noch in den Sternen stand, nicht vorhanden. Angesichts der Erklärung der chilenischen Abgeordneten-Kammer vom 22. August 1973 ist schwer zu ergründen, warum Salvador Allende hierzulande heroisiert wird. Dafür gibt es keinen Anlass. Allende hat auf der ganzen Linie versagt, was große Kreise der “Linken” in Chile längst ohne Wenn und Aber einsehen. Eine Erklärung für die Heroisierung ist vielleicht das hier kollektiv schlechte Gewissen angesichts des herrschenden Wohlstandes. Das gibt Anlass, sich kompensatorisch “progressiv” zu geben. Aber weit weg, in fremden Ländern; um nicht selbst die Konsequenzen solch progressiver Politik ausbaden zu müssen ... ? In den Jahren nach 1960 gab es in den USA schon ähnliche Auffassungen. Fazit: Der demokratisch gewählte Präsident hat die Verfassung des Landes aufs Schwerste gebrochen (solche Erfahrung gibt es auch in Deutschland) und ... wurde (allerdings anders als in Deutschland) mit dieser einzigen Begründung blutig entmachtet. Statt zum Thema Chile und der Pinochet-Diktatur an Jahrestagen zusätzlich einzuheizen, sollte Trauer um die Toten, darunter so vieler so begabter Leute, die Stimmung bestimmen. Denn eine Zwangsläufigkeit hatten diese Ereignisse mitnichten. Nach dem 11. September 1973 sind von Militärs Verbrechen verübt worden. Der wichtigste, auch in Deutschland bekannte Fall, ist der der sogenannten Todeskarawane : Im Oktober/November 1973 hat eine Gruppe von Mitgliedern des Heeres Gefangene, also wehrlose Menschen, in Nord-Chile erschossen. Zu den Verbrechen zählt auch der Mord von Orlando Letelier (Außen- und Verteidigungsminister der Regierung Allende) in Washington. Gerichtsurteile zu solchen Untaten sind eine Selbstverständlichkeit. Ebenso Fälle von Folter über die, die sicherlich gut informierte Renate Schmidt (SPD) am 5. März 2004, vermutlich auch früher schon, berichtete. Von derartigen (Monate und Jahre später begangenen) Verbrechen abgesehen, war der Sturz von Salvador Allende, eine stinknormale Revolution, wie so viele als glänzend bezeichnete der Geschichte. Völlig fehl ist es, den Umsturz etwa mit der später erfolgreichen Wirtschaftspolitik oder der gelungenen Reform der Rentenversicherung zu rechtfertigen. Einzig die schweren, “nachhaltigen” Verfassungsbrüche der Regierung Allende dürfen als Rechtfertigung erwogen werden. (D) Was lehrt die Erfahrung in Chile? Reformen, auch gesellschaftlicher Wandel erfordern Geduld, Toleranz und perfektes Demokratie-Verständnis. Keines Menschen Meinung kann oder darf etwa durch Knopfdruck verändert werden. Es sind die Eiferer und Fanatiker - von letzteren hat das vorige 20. Jahrhundert sehr viele gesehen - die Probleme auslösen, auch Raff- oder Habsüchtigen zu widerlichem Verhalten Anlass bieten. Leider ist das Problem der Fanatiker, trotz dem krachenden Zusammenbruch des Ostblocks, bis heute nicht überwunden. Fanatismus scheint sogar wieder zuzunehmen. Sorge ist daher angezeigt. Neben jenen “Linken”, die ihre Fehler einsehen, gibt es, weit verbreitet, noch viele “Linke”, die meinen, ein gebrochenes Verhältnis zur Landesgeschichte haben zu müssen. Aufgesetztes Getue, Uneinsichtigkeit, Unbelehrbarkeit? Wer weiß das genau ... Auf jeden Fall so oder so oder so falsches Verhalten. Vermutlich ist das politische aber auch menschliche Trauma des 11. September 1973 noch nicht überwunden; die Nostalgie einer virulenten sozialistischen Bewegung tut ein Übriges. In D’land wird derweil überwiegend zum “11. September 1973” eingeheizt; zumindest befremdlich die PM der SPD zum Thema. Es gibt auch Schnodderiges, wie etwa beim SPIEGEL durchdekliniert. Beides ist nicht hilfreich. Hilfreich wäre: “Mensch Leute, messt die Höhe Eurer Stirn; seht ein, dass Geschichte (leider) auch Dampfwalze ist ... Sowjetunion, Chile, Volksrepublik China, Deutschland, Cuba, Brasilien ... Viele Schuldige wurden “erwischt” ... aber eben nie alle. Politische Vernunft wäre bei solcher Einsicht nicht mehr aufzuhalten. Und dann müssten deutsche Sozialisten 2003ff bereit sein, auf die innenpolitisch wirksame Instrumentalisierung des Staatsstreiches vom 11. September 1973 in Chile zu verzichten, statt sich per Betroffenheitsadressen (echt gefühlter?) zu autoheroisieren. Na, “Freunde”? Zum Schluss, durchaus als Kampfansage: Wenn “die LN” der Meinung wären: “Chilenische Asylsuchende hätten in Deutschland nach dem 11. September 1973 abgewiesen werden sollen”, dann wäre das hier auf Punkt und Komma zu lesen. _____________ ___________________________________________________ Wachsamkeit (“wehret den Anfängen”) und vor allem eine durchgängig liberale Geisteshaltung sind das beste
Mittel, Katastrophen wie die chilenische von 1973 zu vermeiden. |
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